Sexueller Missbrauch ist jede sexuelle Handlung, die an oder vor Kindern oder Jugendlichen entweder gegen ihren Willen vorgenommen wird oder eine sexuelle Handlung, der Kinder und Jugendliche aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht willentlich zustimmen können. Wesentliches Merkmal des sexuellen Missbrauchs ist die Ausnutzung eines bestehenden Vertrauensverhältnisses oder einer Macht- und Autoritätsposition.
Sexueller Missbrauch liegt zum Beispiel vor, wenn eine erwachsene oder deutlich ältere Person Mädchen und Jungen nötigt, sexuelle Handlungen an sich selbst oder an dem Erwachsenen vorzunehmen. Ein Kind auffordert, sich nackt vor ihm zu zeigen, pornografische Aufnahmen zeigt oder es nötigt, bei solchen Aufnahmen mitzumachen. Seinen Penis am Körper eines Mädchens oder Jungen reibt und/oder sie zu analem, oralem oder vaginalem Geschlechtsverkehr zwingt. Laut Forschung und Schätzung muss davon ausgegangen werden, dass etwa 15-30% der Mädchen und 5-15% der Jungen im Laufe ihrer Kindheit von sexuellem Missbrauch betroffen sind.
Sexueller Missbrauch kommt in allen Gesellschaftsschichten vor. Besonders gefährdet sind Mädchen und Jungen, die emotional vernachlässigt aufwachsen, die schüchtern und isoliert erscheinen. Dies
heißt aber nicht, dass selbstbewusste und aufgeschlossene Kinder nicht auch Opfer werden können.
Einige typische Merkmale des sexuellen Missbrauchs
Die Täter sind etwa zu 90 % männlich.
Der Missbrauch ist bewusst geplant, die Kinder und Jugendlichen werden langsam darauf "vorbereitet“. Die Handlungen des Täters sind oftmals zunächst in Spiel- oder Pflegehandlungen versteckt und
werden allmählich gesteigert.
Die Täter sind dem Kind in aller Regel bekannt (Väter, Stiefväter, Brüder, Lehrer, Erzieher, Pastoren usw.).
Die Täter nutzen ihre Macht- und Autoritätsposition sowie bestehende Vertrauensverhältnisse aus.
Die Kinder haben oft widerstreitende Gefühle gegenüber den Tätern (Zuneigung und Abneigung).
Den Kindern wird ein Schweigegebot auferlegt, z.B. indem ihnen gedroht wird, sie würden in ein Heim kommen oder dass die Offenlegung des Missbrauchs dazu führt, dass etwas Schlimmes
geschieht.
Häufig werden die Kinder mit materiellen Gütern "belohnt“ und zum Schweigen gebracht.
Folgen sexuellen Missbrauchs
Die Auswirkungen sexuellen Missbrauchs unterscheiden sich hinsichtlich der Art der Folgen und bezüglich des Schweregrades. Die Dauer des Missbrauchs, das Alter des Kindes zur Tatzeit und die Art
der Gewaltanwendung und die individuelle Persönlichkeit des Kindes sowie die soziale Unterstützung sind z.B. Aspekte, die auf die Folgen Einfluss nehmen. Es kann nicht von der Art der
Missbrauchshandlung auf die Folgen bzw. die Schwere der Folgen geschlossen werden.
Folgende Symptome können bei oder nach sexuellem Missbrauch auftreten. Es gibt jedoch kein Symptom bei dessen Auftreten eindeutig auf einen Missbrauch geschlossen werden kann.
Verdacht auf sexuellen Missbrauch
Kinder, die sexuell missbraucht werden, stehen unter einem enormen Geheimhaltungsdruck. Die meisten werden nicht offen über die Gewalterfahrungen berichten. Vielfach hindern sie auch eigene
Schuld- und Schamgefühle daran, sich anderen mitzuteilen.
Die Frage, wie ein sexueller Missbrauch zu erkennen ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Die Reaktionen der Kinder sind sehr unterschiedlich. Einige ziehen sich zurück, andere werden
laut und beanspruchen besonders viel Aufmerksamkeit. Sie werden in der Schule besonders leistungsstark oder besonders leistungsschwach, betreiben eine übertriebene Körperpflege oder
vernachlässigen ihren Körper, zeigen möglicherweise aggressives oder autoaggressives Verhalten.
Bei dem Verdacht auf sexuellen Missbrauch sollte überlegt und ruhig vorgegangen werden, um das Kind nicht zusätzlich zu schädigen. Eltern, Mütter, ErzieherInnen, LehrerInnen, NachbarInnen usw. sollten bei Verdachtsfällen nicht vorschnell handeln, sondern sich zunächst um professionelle Beratung und Unterstützung bemühen.
Reaktionen von Bezugspersonen
Kinder können - je nach Alter - noch nicht für sich selbst entscheiden, welche Hilfe sie brauchen und welche Schritte gegen den Täter möglich sind. Sie sind auf die Hilfe von Bezugspersonen
angewiesen. Insbesondere nahe Bezugspersonen verspüren das Bedürfnis, dem Kind zu helfen. Sie sind oftmals jedoch sehr stark emotional involviert und häufig selbst durch den Missbrauch des Kindes
sehr belastet. Sie überfordern das Kind u.U. mit ihren Reaktionen, indem sie es z.B. mit ihren eigenen Gefühlen von Wut, Hilflosigkeit, Trauer, Ohnmacht oder Rachegefühlen übermäßig
konfrontieren.
Die Gefühle naher Angehöriger von Missbrauchsopfern drücken sich mitunter auch in unüberlegten und übereilten Handlungen aus, die nicht immer zum Wohl des Kindes sind. Über spezielle
Handlungsmöglichkeiten für verschiedene Berufsgruppen informieren die Frauennotrufe vor Ort sowie Kinderschutz-Einrichtungen, Wildwasser-Einrichtungen oder Erziehungsberatungsstellen.
Frauennotrufe und andere spezialisierte Fachberatungsstellen bieten kostenlose Beratungen für Bezugspersonen missbrauchter Kinder sowie für professionelle UnterstützerInnen an.
Strafanzeige
Sexueller Missbrauch ist ein so genanntes Offizialdelikt. Sobald die Polizei oder Staatsanwaltschaft davon erfahren, sind die Behörden verpflichtet, zu ermitteln. Eine Anzeige kann nicht einfach
"zurückgezogen“ werden. Niemand ist verpflichtet, einen sexuellen Missbrauch anzuzeigen. Eine Anzeige sollte sehr gut überlegt werden und nicht ohne eine vorherige Beratung mit einer kompetenten
Anwältin erfolgen!
Es sind jedoch nicht nur juristische Aspekte zu bedenken, sondern auch psychologische. Im Einzelfall ist abzuwägen, ob ein Strafverfahren für das Kind, die Jugendliche oder bereits erwachsene Frau, die in der Kindheit missbraucht wurde, eine zumutbare Belastung ist. Bestehen Zweifel, kann eine Beratung hilfreich sein, um eine sinnvolle Entscheidung treffen zu können.
Der Gesetzgeber hat dem Umstand Rechnung getragen, dass viele Kinder und Jugendliche lange nicht über den Missbrauch sprechen und Verjährungsfristen eingeräumt. Die Verjährungsfrist für sexuellen
Missbrauch beträgt gegenwärtig 10 Jahre und wird ab Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers berechnet. Im Einzelfall ist die Verjährungsfrist mit einer kompetenten Anwältin / einem kompetenten
Anwalt zu besprechen.